· 

Streßfreie Fahrt für freie Bürger

Meine Kindheit habe ich größtenteils in den 70ern verbracht. Ich bin mit sehr bunten Tapeten, Prilblumen und Schlagern groß geworden. Im Auto, meist ein Renault, später ein Audi 80, war mein Lieblingsplatz auf der Rückbank in der Mitte. Das war der beste Platz, weil ich von dort einen guten Blick nach vorn hatte. Gleichzeitig war es auch der gefährlichste Platz: Sicherheitsgurte gab es damals hinten noch nicht, und bei einem Unfall wäre ich vermutlich durch die Windschutzscheibe aus dem Wagen geflogen – so, wie es Thomas vom Nachbarhof ergangen ist.

Auf der Rückbank wurden Gurte erst 1984 verpflichtend, und gleichzeitig wurde ein Bußgeld für unangeschnalltes Fahren eingeführt, obwohl die Anschnallpflicht für die vorderen Sitze schon 1976 eingeführt worden war. Das ganze Thema hat die Gemüter damals ziemlich erhitzt. Ich erinnere mich auch an T-Shirts mit aufgedrucktem schwarzen Balken, der vortäuschen sollte, man sei angeschnallt.

Heute ist es selbstverständlich, sich anzuschnallen. Einsteigen, anschnallen, los. Andernfalls meldet nach spätestens 50m der Wagen mit enervierendem Piepen, dass man etwas Wichtiges vergessen hat. Niemand würde die Anschnallpflicht heute in Frage stellen, und jeder würde bestätigen, dass der Gurt Leben rettet.

Trotz besseren Wissens scheint sich dennoch die Geschichte zu wiederholen. Beim Thema Tempolimit gehen viele Zeitgenossen auf die Barrikaden, als wolle man Ihnen die Lebensgrundlage entziehen. Dabei hat auch das Tempolimit eindeutige Vorteile, belegt durch diverse Studien:

  • Es verringert die Zahl der Verkehrstoten und Schwerverletzten.

  • Es senkt die Emissionen an NOx und Feinstaub und verbessert so vor allem auf vielbefahrenen Stadtautobahnen die Luftqualität.

  • Es senkt den Kraftstoffverbrauch und nutzt so dem eigenen Geldbeutel wie auch dem Klima.

  • Es senkt den Streßpegel beim Fahren und wirkt sich somit positiv auf die Gesundheit aus.

Außerdem gibt es bei der heutigen Verkehrsdichte in der Praxis ohnehin kaum noch Strecke für „freie Fahrt für freie Bürger“. In der Nähe von Ballungszentren schieben sich die Autos auf der linken Spur mit durchschnittlich 130 km/h und viel zu geringem Abstand gegenseitig vorwärts, während rechts die LKW und Lieferwägen mit 90 km/h rollen und es genug und lange Lücken gibt.

Die maximale Kapazität liegt für mehrspurige Fahrbahnen übrigens bei Geschwindigkeiten von 70-100 km/h (siehe [1]), d.h. in diesem Geschwindigkeitsbereich fließt der Verkehr stabil und es kommen möglichst viele Fahrzeuge gut voran. Angesichts der heutigen Verkehrsdichte wäre also ein Tempolimit vom 100 km/h sinnvoll. Je höher die zulässige Geschwindigkeit, umso schneller bricht der Verkehrsfluss mit zunehmender Zahl von Fahrzeugen zusammen – und alle stehen im Stau.

Ein Tempolimit bringt also nur Vorteile. Warum wird es dann nicht eingeführt?

In all unseren Nachbarländern existiert ein Tempolimit für Autobahnen. In Österreich und den Niederlanden ist die Geschwindigkeit auf 130 km/h begrenzt. Autobahnfahrten bei diesen Nachbarn empfinde ich stets als wesentlich stressfreier als daheim in Deutschland. Würde jemand ein Volksbegehren für ein Tempolimit auf Autobahnen starten, ich würde sofort dafür stimmen.

Gruß, Bernd

 

[1] „Ermittlung der Kapazität von Straßen durch Fahrzeugmessungen im Verkehrsfluss“, Daniel Schäfer, Nemanja Blagojevic, Prof. Dr. G. Willmerding, 30.07.2010, http://www.hs-ulm.de/opus/volltexte/2011/65/pdf/Studienarbeit_Fundamentaldiagramm.pdf